The Boar Rider
„No fools, no fun, Boar Rider“
Johnny Cash
Ich weiß schon, so ganz ist das nicht der originale Text von Johnny Cashs „Bull Rider“, aber für einen Hund wie den Willy, für den passt das wie eine Bassetnase in den Kühlschrank. Willy hat Spuren hinterlassen, in der Setterburg und tief in meiner Seele, denn Willy war etwas ganz Besonderes. So besonders, dass unsere Beziehung mit einem mächtigen Rüffel meinerseits begann, an dem Tag, als Willy bei uns einzog. Genau genommen kassierte er den Rüffel in der ersten Minute seiner Ankunft, ganz so, wie es sich für einen Basset Hound gehört ...
Mirek und die Bassetonkels
Anfang Oktober 2011 bekomme ich eine Mail aus Belgien, ein alter Basset ist in einem Tierheim abgegeben wurden – dort sitzt er nun komplett chancenlos und dieses Tierheim euthanasiert alte Hunde nach gut 2 Wochen. Zufällig haben wir Platz und ich sage zu. Dazu kommt, dass unser Jungsetter Mirek seinen Bassetonkel Mörfi vermisst. Mörfi ist in die Schweiz zu seiner Familie gezogen, zuvor zeigte er aber noch dem unsicheren und verängstigten Mirek, wie das Leben in dieser Welt funktioniert. Mörfi, der Kampfesnarben im Gesicht trug und eingerissene Ohren über 2cm hatte, hat den kleinen Setter mit den kaputten Hüften immer beschützt und geführt. Den Höhepunkt hatte die Beziehung der beiden Buben erreicht, als kurz nach Mireks erster HüftOP sich eine Appenzellerhündin unvermittelt auf ihn aus einer Hauseinfahrt heraus stürzte. Mirek lag schreiend mit seinem frischoperierten Bein unter ihr, während sie auf ihn einbiss. Noch ehe ich reagieren konnte, war Mörfi da und rammte sie wie ein Panzer. 33 kg geballte wütende Bassetpower trafen auf die Hündin und sie überschlug sich mehrmals, als sie von ihm herunter rollte. Danach baute er sich zwischen Mirek und der Appenzellerhündin auf, den Schwanz hoch über dem Rücken tragend, die Ohren hochgerissen und doppelt so breit wie sonst. Deutlich sah ich die Muskeln unter seinem Fell spielen und Mörfi meinte es in diesem Moment verdammt ernst, denn Mörfi duldete es nicht, dass sich irgendjemand an seinem Rudel vergriff, außerdem hatte er noch die nötige Kampferfahrung – die Hündin trollte sich mit eingezogenem Schwanz, damit hatte sie nicht gerechnet. Bassets sind bei Mirek außerordentlich positiv konditioniert. An dem Tag, an dem Mörfi uns verließ, brach für ihn eine Welt zusammen. Es half nichts, Mirek brauchte wieder einen Basset an seiner Seite, da kam uns Willy gerade recht.
Raupendiät
Kurze Zeit später war es soweit und Willy zog bei uns ein. Sandra hat ihn uns gebracht, denn Sandra hat mindestens seit unserer Miss Marple, der alten schrulligen Bassetdame, genau so eine Bassetmacke wie ich selbst. Ich war vorgewarnt wurden – Willy sei fett, habe zu lange Krallen und eine Ohrenentzündung. Als er seine Massen an mir vorbei in unsere Wohnung wälzte, war ich schon erschrocken – sein Bauch schliff auf dem Boden, die Krallen waren nicht nur zu lang, sondern teilweise in die Ballen eingewachsen und seine Ohren stanken zum Himmel. Sein Zustand erzählte die Geschichte einer jahrelangen Verwahrlosung. Dem Willy war's egal, er tapste schnurstracks an mir vorbei, um die anderen zu begrüßen. Mirek war von den Socken und lachte übers ganze Gesicht – endlich wieder ein Bassetonkel! Nein, der Willy interessierte sich nicht für ihn, sondern tapste weiter, immer der Nase nach, bis er IHN gefunden hatte. IHN war der einzige unkastrierte Rüde in unserem Haushalt, der alte English Setter Lord. Willy bedrängte ihn, machte ihm Avancen und der Ofen war sofort aus bei mir, als er auf ihn aufritt. Ausrechnet der Lord mit seinem kaputten Rücken! Willy kassierte den ersten Rüffel, der Beginn einer wunderbaren und innigen Beziehung. Nicht, dass er damit aufgehört hätte – nein, an diesem Abend folgte noch eine Vielzahl von Rüffeln. Willy wollte das nicht lernen, aber just von diesem Augenblick betete er den Boden an, auf dem ich ging. Ich war seine „Göttin“ – das hatte ich nun davon, ich hätte ihn ja auch nicht rügen müssen. Allerdings muss man ja nun auch auf „Göttinnen“ nicht unbedingt hören, und schon gar nicht, wenn man ein Basset ist. Es geht die Sage, dass man beim Setter irgendwann mal einen Maulesel eingekreuzt hat. Wenn das stimmt, dann ist es beim Basset wohl eine ganze Herde gewesen. Ein paar Tage später war auch bei Lord der Ofen aus und er erteilte Willy selbst eine Lektion in gutem Benehmen. Willy verlor haushoch und seitdem war die Beziehung beider geprägt von Höflichkeiten und Freundschaft.
Als Rudi von der Arbeit kam, musste er lachen, als er Willy sah: „Oh, eine Raupe!“. Das nahm Willy persönlich und beschloss, er könne Rudi nicht leiden. Und dabei blieb es erstmal. Rudi nannte ihn daraufhin garstige Raupe, Willy ließ sich von ihm gar nichts sagen. Wollte Rudi ihn von der Couch holen, weil es ins Bett ging, meinte Willy „Lang her und du lernst meine Zähne kennen.“, ich brauchte nur sagen „Willy, kuuuuuuuummmm, Heia gehen!“ und er wälzte seine Massen gehorsam und lachend hinter mir her. Ich durfte ihm die Ohren sauber machen, Krallen feilen, Zecken ziehen, ihn durchkneten, hochheben und anrüffeln. Und mit jedem Rüffel liebte er mich mehr. Rudi durfte nichts davon. Willy duldete lediglich, dass dieser komische männliche Zweibeiner in seinem Rudel lebte. Und ich saß zwischen den Stühlen, na super! In der Zwischenzeit waren wir natürlich auch beim Tierarzt vorstellig. Willy wog gute 10kg zuviel und sollte natürlich dringend abnehmen. Dieser tierärztliche Rat bedeutet für jeden Basset ein persönliches Desaster. Diät geht bei einem Basset Hound nämlich gar nicht. Die Ohren wurden gespült, die Krallen geschnitten. Eine mussten wir kappen und aus dem Pfotenballen heraus ziehen. Es blieb keine Wunde, sondern ein verhorntes Loch. Wie dieser Hund die letzten Jahre seines Lebens gehalten wurde, wurde mir immer klarer. In der Schulter hatte er einen alten verwachsenen Bänderschaden. Er hatte wohl so gut wie nie einen Tierarzt gesehen. Auch beim Tierarzt benahm er sich vorbildlich. Den einzigen Menschen auf dieser Welt, den er noch immer nicht mochte, war Rudi. Er hätte ihn ja auch nicht Raupe nennen müssen – das kann man als Basset dann schon mal persönlich nehmen. Noch persönlicher nahm er allerdings seine Diät. Wir ließen es langsam angehen, kürzten das Futter um gute zwanzig Prozent und nahmen ihn zu nur einem Spaziergang am Tag mit. Mehr hätte der Willy eh nicht geschafft. Willy hasste die Leine. Keinen Schritt ging er mit dem Ding an seinem Hals. Ich habe ihn bereits am zweiten Tag abgeleint. Ich war der Meinung, der alte Basset ist so langsam, den kriege ich locker, wenn er doch flotte Beine kriegt. Er kriegte sie natürlich nicht. Langsam wälzten wir uns durch Siegenburg bis zu den Hopfengärten, Willy war dabei wild entschlossen, seine „Göttin“ nicht aus den Augen zu lassen. Oft mussten wir warten oder eine Pause einlegen. Willy, zu fett und zu untrainiert, schaffte es einfach nicht schneller. Während wir diesen Spaziergang im Schneckentempo absolvierten, langweilten sich die Setter und Pufa-Labrador fast zu Tode. Die Nachbarn fanden es eher amüsant. Während wir durch die Straßen schlichen, erscholl nur zu oft mein Ruf „Willy, kuuuuuuummmm, nicht trödeln!“. Während sich Willy alle Mühe gab, diese Anforderungen an ein gemäßigtes Tempo zu erfüllen, gingen Türen und Fenster auf, lachende Köpfe schauten heraus und mehr als einmal hörten wir: „Ja mei, der Willy. Dem pressierts wieder net.“. Willy war in unserer kleinen Ortschaft schon bald bekannt wie ein bunter Hund. Die ersten Wochen mussten wir seinen Bauch mit Wundheilsalbe eincremen, denn er scheuerte sich ihn beim Laufen auf dem Boden auf. Was andere Leute lustig fanden, fand ich eher zum heulen. Wer einmal eine aktive Bassetmeute erlebt hat, der weiß, was Lebensfreude bedeutet. Willy war davon meilenweit entfernt. Es gibt nichts schlimmeres, als einen fetten Hund. Und das allerschlimmste ist ein fetter Jagdhund.
Die Zeit brachte es, denn Willy legte sich nicht nur mehr Muskeln zu, sondern entwarf quasi sein eigenes Fitnessprogramm. Maßgeblich daran beteiligt war Jungsetter Mirek, der nicht nur Freund, sondern auch personal trainer wurde. Willy war im Inneren ein junggebliebener Quatschkopf und Spaßvogel, spielte und scherzte für sein Leben gern und ganz besonders tat er das mit anderen Rüden. Mädels waren ok, aber den Buben, denen gehörte seine große Liebe, was nur all zu oft zu leichten Irritationen bei gleichgeschlechtlichen Artgenossen führte. Mit Mirek hatte er den passenden Partner gefunden. Die Jungs spielten und tobten durch Garten und Wohnung, dass es eine Augenweide war. Anschließend lagen sie zusammen auf der Couch, auf die es Willy zu unserer Überraschung schon bald alleine schaffte. Am Anfang musste ich noch helfen, aber schon bald war Willy ein paar Pfund leichter und deutlich trainierter. Dabei hatte er eine Methode entwickelt, die ihresgleichen suchte. Er wippte ein paar mal vor der Couch hin und er und wenn er genügend Schwung hatte, segelte er auf das begehrte Liegeobjekt. Ebenso einzigartig wie diese Couchbesteigemethode war sein Schlafstil. Willy konnte in den unmöglichsten unbequemen Verrenkungen tief und fest schlafen, den Kopf über die Lehne nach unten gehangen oder auf einem Kissen oder Hund erhöht abgeparkt und fast schon sitzend. Als ich ein paar Wochen nach Willys Einzug mal wieder reichlich spät von der Arbeit kam, lag er gemeinsam mit Rudi auf der Couch. Ich war schon sehr erstaunt und Rudi meinte grinsend „Na, haben wir nicht gut an unserer Beziehung gearbeitet?“. Ich musste lachen. Von diesem Zeitpunkt an, durfte Rudi ihn hoch heben, von der Couch holen und so richtig durchknuddeln. Nur die Reinigung der Ohren, die war nach wie vor der „Göttin“ vorbehalten. Ohren sind nun mal Chefsache und basta.
Die Eroberung des Paradieses
Während sich Willy über Wochen und Monate ein Gramm nach dem anderen von Hüften hungerte und trainierte, stieg seine Aktivität und Schnelligkeit umgekehrt proportional zum verlorenen Gewicht. Er eroberte nicht nur die Couch, sondern auch das Bett. Der Winter war gekommen und Basset wollte es möglichst warm, weich und bequem haben. Willy mutierte zur besten Bettrolle in der Geschichte der Setterburg. Seinen seltsamen Schlafstil behielt er bei. Das hatte zur Folge, dass er den Kopf immer erhöht auf unseren Beinen ablegte. Nachts wurden wir munter, hatten durchblutungsgestörte und schmerzende Glieder, auf ihnen lag selig schnarchend ein Basset. Für diesen war das natürlich sehr bequem, für uns weniger. Eines Nachts platzte mir der Kragen, ich stand entnervt auf, humpelte fluchend zum Wäscheschrank, holte das dickste Kopfkissen, das ich finden konnte und bezog es. Ab damit ins Bett, den Willy draufgewuchtet. Er war's zufrieden und nutzte es ab jetzt jede Nacht und im Nachhinein sagte ich immer, wenn der Willy einmal sein eigenes Zuhause finden würde, dann müssten die Adoptanten schon das Kopfkissen mit adoptieren.
Willy liebte es, auszuschlafen und wir passten uns notgedrungen seinem Rhythmus an. Vor 10 Uhr war nichts mit ihm anzufangen. Weckte man ihn eher, schauten einen blutunterlaufene vorwurfsvolle Bassetaugen an und man fühlte sich als miserabler Tierquäler. Früh ging es nur einmal zum Bieseln kurz in der Garten, danach wieder rein ins Haus und rauf auf die Couch. So ein alter Basset braucht schließlich eine gewisse Anlaufzeit, bis er in die Puschen kommt. Das Dolce Vita lässt grüßen. Beim Hundefutter herrichten konnte es ihm nie schnell genug gehen. Aufgeregt hüpfte Willy auf und ab, stampfte mit den Vorderpfoten auf den Boden und brüllte dabei den ganzen Ort zusammen, dass die Fensterscheiben nur so wackelten. Und das ist bitteschön weder ein Scherz noch eine Übertreibung. Unsere Fütterungszeiten wurden unüberhörbar. Anschließend stürzte sich Willy auf sein Essen und schlang es in einem Bruchteil von Sekunden herunter, um danach noch bei den anderen plündern zu gehen. Ein Basset auf Raubzug ist quasi unkontrollierbar und da hörte selbst beim besten Freund die Freundschaft auf. Wir mussten höllisch aufpassen, dass Mirek sein Essen alleine essen durfte und nicht die Hälfte davon im unersättlichen Bassetmagen verschwand. Einmal ist Willy beim Topfausschlecken mit der ebenso verfressenen Pufa aneinander geraten. Das gab eine mordsmäßige Schlägerei, bei der wir dazwischen gehen mussten. Bevor alle Hunde nach dem Fressen wieder zusammen kamen, wurden die Schüsseln zukünftig weggeräumt.
Manchmal nahm ich Willy mit in die Arbeit. Ich arbeite in einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen und Willy war – fehlende Ausbildung hin oder her – schlicht und ergreifend der perfekte Therapiehund. Geduldig und freundlich begegnete er allen Menschen, verbreitete Ruhe und Gemütlichkeit. Oft lag er dabei fest schlafend in seinem Korb unter meinem Schreibtisch, so dass man ihn nur wegen des Schnarchens bemerkte. Nun ist unsere Einrichtung leider komplett kontraproduktiv für Bassets, die sich in einer strengen Diät befinden, denn wenn man mit Hund arbeiten ist, kommt es zu einem mysteriösen Semmelschwund im ganzen Haus. Ich weiß nicht, wie viele Käse- und Salamisemmeln an solchen Tagen den Besitzer wechseln, aber es dürften einige sein. Willy ging wirklich sehr gerne arbeiten! In dieser Beziehung war er ein Workoholic.
The Boar Rider
Willy wurde schneller und schneller. Und es kam der Tag, da war er fit genug, um mit uns in den Wald zu fahren. Zuerst nur einmal in der Woche, dann zweimal und zum Schluss war er täglich dabei. Willy brachte mich dabei zum Lachen, denn er dödelte gehorsam hinter uns her. Von Jagdtrieb war keine Spur zu erkennen. Er ließ sich einfach den Wind um die Bassetnase wehen und sah zu, dass er uns nicht aus den Augen verlor. Und er begann zu rennen, dass die langen Schlappohren nur so hinter ihm herwehten. Aus Rudis garstiger Raupe wurde offiziell die Rumpelraupe, denn es dröhnte die Erde, wenn er hinter und her galoppierte. Willy war's zufrieden, mit diesem Namen konnte er sich wohl anfreunden. Ende Februar, es hatte geschneit und die Spuren waren frisch im Wald, hatten die Sauen unter den Buchen nach Nahrung gegraben. Die Meute war schlichtweg von der Rolle, die Nasen witterten wie verrückt. In diesem Augenblick kamen Willys Gene zum Vorschein, jahrhundertelange Jagdhundselektion forderte ihren Tribut und Willy erkannte, was er war: Ein Basset Hound, geboren um zu jagen. Ich musste ihn einfangen und ihm die Meinung geigen. Von diesem Tag an sah er den Wald mit anderen Augen, es war sein Revier. Er begann, immer mal wieder seinen eigenen Weg zu gehen, besuchte die Lagerstätten der Wildsauen und Keiler, die es ihm ganz besonders angetan hatten. Und obwohl diese schon längst über alle Berge waren, hatte er dieses unvergleichliche Leuchten in den Augen, das das betonte, was schon lange verloren geglaubt war und doch so leicht aus jedem Jäger wieder heraus bricht. Zu einem Großteil kam er zurück, wenn ich ihn rief, manchmal musste ich ihn holen. Meist stand er dann vor einer Liegekuhle und meinte „Riechst du es? Sie waren hier, es ist noch gar nicht lange her ....“. Nur mit Mühe bekam ich ihn von da weg.
Ende April stellte er sich seiner ersten Wildsau. Gar nicht weit entfernt von mir grunzte es und als ich mich umdrehte, war kein Willy mehr da. Mir rutschte das Herz in die Hose, mit den Sauen ist ja generell, aber um diese Jahreszeit wirklich noch weniger zu spaßen. Und überhaupt sind die Schwarzkittel eher für ihren fehlenden Humor bekannt. Als ich zurück rannte und in den nächsten Waldweg einbog, standen sie da: Aus blutunterlaufenen Augen starrten sich beide an, nur wenige Meter voneinander entfernt. Willy war wild entschlossen, diese Sau zu erlegen. Nun verstehe ich als Hundeführer in dieser Beziehung genauso wenig Spaß wie eine Wildsau und ich verdarb ihm selben gehörig. Mit einem beherzten Sprung war ich an Willys Seite und packte ihn am Geschirr. Er ging mit, ohne Widerworte, die ich eigentlich erwartete. Im Weggehen beobachte ich die Sau aus den Augenwinkeln und fühlte mich noch verpflichtet zu sagen „Nein, auch wenn der Basset etwas anderes behauptet, niemand von uns wird dich essen. Wir wollten nicht stören, ehrlich. Tut mir leid.“ . Sie trollte sich grunzend und es folgten ihr ein paar neugeborene Frischlinge, winzig klein, eine handvoll Wildschwein, die gerade erst das Leben begonnen hatten. Danach hatte ich noch zwei Augen mehr auf den Willy, als ich ohnehin schon hatte.
Überhaupt tat er im Wald allerlei Schätze auf. Sein Kronjuwel, das er eroberte, war jedoch ein ziemlich unangenehm duftender Unterkiefer, den irgendwann einmal fand und vehement mit zum Auto schleppen musste. Da gab es keine Diskussion, das Ding musste mit, so unangenehm es noch für menschliche Nasen roch. Für ihn war das der betörendste Duft dieser Welt. Chanel No. 5 für Hunde. Und er hatte es gefunden. Wieder musste ich ihm den Spaß verderben, denn dieser hörte für mich auf, als er das stinkende Teil unbedingt mit nach Hause nehmen wollte. Menschen und Bassets kommen in dieser Beziehung einfach auf keinen gemeinsamen Nenner. Willy war stinksauer, das war sein Eigen, sein Schatz – und wir garstige Menschense hatten ihn ihm genommen, obwohl ich es ordnungsgemäß gegen einen Lachskeks eingetauscht hatte. Am nächsten Tag war sein Schatz vom Parkplatz verschwunden, er hatte sich wohl einen neuen Herrn gesucht.
Kurz darauf hörte er auf, hinter uns her zu dödeln – ab jetzt lief er im Wald voraus, so schnell ihn nur seine Bassetbeine trugen. Oft versuchte er dabei, den Mirek zu fangen. Das gelang ihm auch ganz gut, denn Mirek wird im Wald grundsätzlich an der Leine geführt. War Mirek im Garten noch deutlich im Vorteil, änderte sich das im Wald schlagartig und Willy ergriff diese Chance nur all zu gerne. Oft zog er als Triumphator mit einem Büschel langer weißer Haare im Maul davon.
Einmaus
Eines Tages bekamen wir ein Spendenpaket mit Spielsachen von Norbert und Petra. Willy und Mirek halfen beim Auspacken und jeder zog mit etwas davon. Was Willy erwischt hatte, konnte ich nicht so genau erkennen, aber es passte genau in sein Maul. Als ich am Abend ins Wohnzimmer kam, lag auf unserem roten Teppich eine graue Spielzeugmaus und Willy saß stolz daneben. Erwartungsvoll schauten mich zwei kluge Bassetaugen an und ich verstand. „Iiiiiiiiiiiiiiiieeeh, da ist ja ein Maus!“ begann ich im absolut unkorrekten Deutsch zu quieken und Willy lachte über beide Backen sein breites Bassetgrinsen. Einmaus, jawoll und es war seine Aufgabe, mich davor zu beschützen. Er nahm sie ins Maul und meinte „Schau mal, Baby, Einmaus ist weg – du musst keine Angst haben!“. Einmaus wurde zu seinem ständigen Begleiter und mein Gequieke ein absoluter runninggag. Die Nachbarschaft ging definitiv von einer Mäuseplage im Hause Setterburg aus, aber wir beide hatten einen mordsmäßigen Spaß an der Sache. Es gab Tage, da schlief sogar mit Einmaus im Maul im Bett ein, den Kopf auf seinem geliebten Kopfkissen geparkt.
Abschied
Abschiede kommen immer zu schnell, egal ob man mit einem Hund 15 Tage, 15 Wochen, 15 Monate oder 15 Jahre zusammen lebt, es ist immer zu früh. Es gibt immer noch so viele Sachen, die man gerne gemeinsam unternehmen und erleben will.
Willys Abschied war ein Abschied für immer, auch nach einem Jahr hatte er noch immer keine passende Familie gefunden. Entweder durfte er nicht im Bett schlafen oder Treppen waren der Hinderungsgrund oder es lebten ausschließlich Hündinnen im Haushalt, mit denen er eh wenig oder gar nichts anfangen konnte. Ich gebe es zu, ich war vielleicht ein wenig zu pingelig bei den Auswahlkriterien seiner neuen Familie, aber alles hat seinen Sinn – nur manchmal erschließt der sich einem erst im Nachhinein. Willy war todkrank. Ein Lebertumor schüttete Adrenalin aus und brachte sein Herz zum Rasen, nicht therapierbar. Wir sollten es uns noch schön machen und den überschaubaren Rest der Zeit genießen, so lautete der tierärztliche Rat. Das war Anfang Oktober 2011. An dem Abend der Diagnosestellung bin ich mit Willy in einen Burgerladen gefahren und wir haben es krachen lassen. Mampfend starrten wir aus den Kofferraum meines Autos in die untergehende Sonne und ich schwöre, wir wussten beide, woran wir waren.
Ich nahm Urlaub für die letzten 1,5 Wochen seines Lebens. Nicht eine Minute wollte ich davon mehr versäumen, es war so verdammt menschlich. Ich drückte ihn noch mehr, als ich es ohnehin schon vorher getan hatte, küsste ihn noch öfter auf seine Bassetnase und kraulte seine langen Ohren. In dieser Zeit haben wir alles nachgeholt, was im Leben eines Bassets wichtig ist. Wir haben Pizza bestellt und Spaghetti gekocht – und natürlich gemeinsam gegessen. Wir haben gescherzt und Willy musste mich vor Einmaus beschützen. Just in dieser Zeit hatte Mirek seine zweite HüftOP und Willy war für ihn da und lag an seiner Seite, um ihm die Schmerzen erträglicher zu machen. Er war einfach da.
Ganz Basset, war Willy ein Perfektionist. Er ist am 01.11.11 gestorben, Allerheiligen, an einem Dienstag. An diesem Tag drehten alle Menschen, die den Kalender der Tierfreunde Niederbayern gekauft haben, das Kalenderblatt November um. Es zierte ein schwarzweiß Foto von Willy.
Sandra und ich haben immer gewitzelt, wir wären wie die Hunde, die wir haben. Irgendwann musste ich ihr gestehen, ich wäre gar kein Setter, für den ich mich immer gehalten habe, ich wäre ein Basset, denn ich esse genauso gerne wie die schlappohrigen Freunde und liebe das Leben und bin mindestens genauso distanzlos – sie meinte, das sei nicht richtig, ich wäre ein Bassetter. Gut, wenn man Freunde hat, die das auch mit einem lachenden Auge sehen können. Einmaus sitzt nun auf meinem Computerbildschirm und wartet, während ich den herrlich nuschelnden Johnny Cash höre. „No fools, no fun, boar rider“ verstehe ich mit meinen lediglich schulenglisch erprobten Ohren. Genauso war er, der Willy. Der Boar Rider.
sb